Zwischentöne hörbar machen

Wir sind mit der ganzen Welt kulturell und freundschaftlich vernetzt: MünchenMusik liegt der kulturelle Austausch über die Grenzen hinweg am Herzen. Als Konzertveranstalter bemühen wir uns, etwas Positives im harmonischen Miteinander zu erschaffen, internationale Künstler und Konzertbesucher im gemeinsamen Erleben von Musik zu verbinden. Dazu gehören auch viele Kollegen und künstlerische Partner aus der Ukraine – Kontakte, aus denen nach jahrelanger intensiver Zusammenarbeit enge Freundschaften gewachsen sind. Kiew, Münchens Partnerstadt, haben wir stets als eine weltoffene Stadt und kreatives Umfeld kennen und lieben lernen dürfen. Kürzlich mussten wir in Kiew die Proben für eine neue Tanzproduktion abbrechen: Viele unserer ukrainischen Freunde sind seitdem mit ihren Familien auf der Flucht und kämpfen ums Überleben.

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Zwischentöne

Unsere Sorge über die Lage in der Ukraine wächst – nicht zuletzt durch die zunehmende Brutalität des Krieges. Zugleich bestürzt uns, vom Schicksal etlicher russischer Künstler zu erfahren: Tänzer und Musiker können nicht mehr in ihre Heimat und zu ihren Familien zurückkehren, nachdem sie sich frühzeitig und eindeutig vom russischen Angriffskrieg distanziert haben. Ihre Angehörigen in Russland erhalten beängstigende Drohungen.

Besonders in den letzten Jahren ist es verstärkt zu erleben, wie sehr sich die menschliche Psyche nach einfachen Lösungen sehnt, sich zur Einordnung schlimmer Geschehnisse einem Schwarz-Weiß-Denken bedient. Zwischentöne? Sind selten geworden. Nur zu gern ertappt sich der ein oder andere dabei, wie er das Unfassbare versucht fassbar zu machen, indem er die komplexe, unkontrollierbare Welt ordnet: in Gut oder Böse, Alles oder Nichts, Freund oder Feind. Kultur hat die Aufgabe, Mehrdeutigkeit zu lehren, Zwischentöne hörbar zu machen, die vielen Facetten des Menschseins zu beleuchten. Sie soll differenziertes Denken fördern und von Extremen abrücken – mit dem Ziel, Vielfalt wertzuschätzen und zu leben.

Was wäre alleine die Vielfalt unserer Konzertprogramme ohne russisches Kulturgut? Werke von Peter I. Tschaikowsky, Dmitri Schostakowitsch, Sergej Rachmaninow oder Sergej Prokofjew sind ein wesentlicher Teil europäischer Kultur und Konzerttradition. Die russischen Komponisten des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts suchten den Austausch mit der westlichen Musikwelt, motiviert durch Neugier und Freude am interkulturellen Dialog. Lassen Sie uns diesen – bei aller Verurteilung des Krieges – erhalten und keine Hexenjagd auf russische Menschen und Kultur zulassen, weder seitens Europas, noch Russlands. Daniel Barenboims Worte lassen sich nicht oft genug sagen: „Russische Kultur ist nicht das Gleiche wie russische Politik.“

Andreas Schessl & Dea v. Zychlinski-Schessl
und das MünchenMusik-Team